
Seit meinem letzten Newsletter sind fast 100 Abonnent*innen dazu gekommen - und ich muss mich direkt entschuldigen für die Ruhe. Akute Schreibblockade, seit Monaten, dabei denke ich immer wieder auf diversen Themen rum. Nun ist es aber ja so, dass das Ergebnis meistens nicht besser wird, wenn man das tut.
Einfacher ist es oft, Dinge, die einem akut auf dem Herzen liegen, schnell herunterzuschreiben. Das tue ich heute.
Es waren wilde Wochen, da seid ihr sicher bei mir. Politisch, gesellschaftlich. Bei mir persönlich auch noch privat und beruflich. Es war und ist viel los.
Nun werden wir im neuen Jahr eine neue Regierung wählen und auch ich bin enttäuscht von der alten. So ist es nicht. Zudem schlagen in meiner Brust viele Herzen, ich bin keineswegs eine, die blind einer Partei folgt, nur weil das schon immer so war. In fast allen Parteien gibt es Personalien, die ich gut finde, bei denen ich mitgehe.
Niemals würde ich aber eine Partei wählen, die sich geschlossen dagegen ausgesprochen hat, dass es Pro-Life-Extremist*innen endlich verboten wird, Frauen, die auf dem Weg zu einem Schwangerschaftsabbruch sind, mit Bildern von toten Föten zu belästigen.
Niemals würde ich einen Mann wählen, der es skandalös findet, wenn Frauen über ihren Körper und ihr Leben bestimmen wollen. Dieser Mann hat noch andere unverzeihliche Dinge von sich gegeben, aber ich rolle heute tatsächlich mal wieder die Sache mit den Abtreibungen aus, denn ich bin immer wieder entsetzt, wie wenig Menschen (auch Frauen!) wissen, worum es hier eigentlich geht.
Ich möchte dazu sagen, dass ich so müde bin, das alles zu wiederholen. Meine Mutter hat in den 70er Jahren schon dafür gekämpft, nun muss ich es also immer noch tun, denn die Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten sogar noch mal deutlich verschlechtert, und wenn jetzt konservative Kräfte an die Macht kommen… ich will es gar nicht weiter denken.
“Abtreibungen sind aber doch erlaubt in Deutschland!”
…schreiben mir also viele. Nein, das sind sie nicht. Es ist immer noch so, dass es in Deutschland verboten ist, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es zwar straffrei (bis zur 12. Woche, mit Beratung, zwischen Eingriff und Beratung müssen drei Tage liegen), aber es bleibt illegal.
Unter anderem deshalb gibt es immer weniger Praxen und Klinken, die diesen Eingriff anbieten. Es gibt weniger Beratungsmöglichkeiten. Vor allem in den ländlichen Gegenden sieht es düster aus. Frauen müssen weit fahren. Und den Abbruch selbst zahlen (300-700 Euro), außer es gibt eine medizinische Indikation oder man ist sozial bedürftig.
Es gibt also jede Menge Hürden. Und ich bitte euch: Schließt nicht von euch auf andere. Viele hatten in jungen Jahren mal einen Abbruch (ich auch), fanden das alles halb so wild und verstehen die Aufregung nicht. Es ist jetzt schon so, dass es für ein junges, schüchternes Mädchen auf dem Land aus einem konservativen Elternhaus fast unmöglich ist, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Wie gesagt, die Hürden: der Arzttermin, der Beratungstermin, der zweite Arzttermin, der Weg, das Geld.
Zum GLÜCK gibt es jetzt gerade ein Bündnis aus der Ampel und anderen Parteien, die sich für eine schnelle Reform des Paragraph 218 einsetzen. Nach den neuen Plänen wird ein Abbruch legal. Die Beratungspflicht bleibt, aber die drei Tage fallen weg. Und der Eingriff wird von der Kasse übernommen. Ich muss nicht erklären, dass ich das gut finde. Es ist eine Gesundheitsleistung. Ende der Diskussion.
Frauen werden immer ungewollt schwanger werden, weil das eben so ist. Weil KEIN Verhütungsmittel zu 100% sicher ist. Weil die Hitze des Gefechts. Weil unvernünftig, betrunken. Weil Vergewaltigungen, Scham, schlimme Dinge. 18-jährige Frauen werden ungewollt schwanger, 35-jährige, 45-jährige. Supervernünftige und schludrige. Das ist so. Und es ist nie eine leichte Entscheidung, abzutreiben, denn sich schwanger fühlen ist krass. Man spürt, was da gerade passiert, der Körper arbeitet ja schon. Es ist mehr als überfällig, dass wir es vereinfachen, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Das Ganze ist schwer genug. Und wenn es erschwert wird (so wie es jetzt in vielen US-Bundesstaaten der Fall ist), wird die Folge davon nur sein: Abtreibungs-Tourismus in andere Länder (ich kenne Frauen, die damals noch nach Holland fahren mussten), unsachgemäße Eingriffe (und Verletzungen und Todesfälle dadurch) und verzweifelte Frauen, die sich irgendwelche Tabletten im Netz bestellen (im Zweifel auch hier: Todesfälle). Wer sich einlesen will: Bitteschön.
“Du nimmst schon die Pille, oder?”
Für mich ist diese ganze Diskussion sinnbildlich für unser patriarchales System. Denn wer ungewollte Schwangerschaften seltener machen möchte, muss ganz woanders ansetzen.
Sex ist eine gemeinsame Sache, die Konsequenzen trägt aber eben meist nur eine Person. Vermutlich ist Sex für konservative Politiker schon mal KEINE gemeinsame Sache, so geht’s los. Für sie ist es eine Sache, die ein Mann mit einer Frau macht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Was diese Männer wahrscheinlich für miese Liebhaber sind, muss ich sicher nicht weiter ausführen, ich will hier aber auch niemandem was andichten, wer weiß.
Was jedoch sicher ist: Die Verantwortung für die eventuellen Folgen und die Vermeidung dieser liegt für viele Männer (auch für solche, die sich nicht als konservativ bezeichnen würden) noch heute klar bei der Frau. Die Männer in meiner Generation (je älter, je schlimmer, bei den jüngeren ist es etwas besser) haben sich alle nicht um Verhütung gekümmert. Und wir Frauen haben das irgendwie so akzeptiert. Auch ich habe das immer als „mein Thema“ gesehen. „Nimmst du die Pille?“ war das Maximum an Interesse, das manche Jungs, mit denen ich in jungen Jahren im Bett war, zu dem Thema zu sagen hatten. Ich habe sie zum Glück immer gut vertragen. Kondome waren manchmal ein Thema, dann aber immer auf meinen Hinweis hin. Weil mir das alles unangenehm war, ich nicht nerven wollte, ich den Moment nicht kaputt machen wollte, lief das Ganze dann oft nicht ganz so, wie ich das eigentlich wollte.
So habe auch ich bis heute viel weniger Männer „erzogen“ als ich das gerne getan hätte. Wenn einer von selbst ein Kondom geholt hat, fand ich das gut. Manche konnten das so gut, dass es überhaupt nicht mehr gestört hat. Finde ich bis heute toll, sollten alle lernen (kann man lernen, alles Übungssache). Genauso gut finde ich es, wenn Männer sich nach abgeschlossener Familienplanung einer Vasektomie unterziehen. Wenn sie am Ende noch ihren Kinder erklären, dass sie das machen, weil die Mutter sich viele Jahre und Jahrzehnte darum gekümmert hat, dass es nicht unendlich viele Geschwister gibt und viele Plagen und Nebenwirkungen auf sich genommen hat (Spirale - Schmerzen, Kosten, starke Blutungen; Pille - Depressionen, Gewichtszunahme, Libido-Verlust. Um nur zwei der am häufigsten genutzten Verhütungsmittel zu nennen), bin ich sogar begeistert. So lernen es die Kinder gleich. Söhne: dass sie sich darum ganz genauso kümmern müssen. Töchter: dass sie sich darum nicht alleine kümmern müssen.
Don't protect your daughter, educate your son
Hier kommt jetzt der Titel dieses Newsletters mit ins Spiel, ich liebe dieses Thema, ganz schön provokant, oder? Verantwortungsvoll ejakulieren! Als Gabrielle Blair, eine sechsfache Mutter und Mormonin 2018 einen der besten Rants of all times bei Twitter lostrat, öffneten sich bei mir so einige Augen. Hier könnt ihr einen Teil davon nachlesen. Der Inhalt unter anderem: Männer sind 50x so fruchtbar wie Frauen, Männer können jeden Tag mehrere Frauen schwängern, Frauen nur an wenigen Tagen im Monat schwanger werden - und dennoch soll SIE sich um die Verhütung kümmern? Vor allem aber: Wenn wir ungewollte Schwangerschaften verhindern wollen, müssen wir Männer dazu bringen, verantwortungsvoll zu ejakulieren. Insofern, ich wiederhole mich. Ihr wisst, was ihr euren Söhnen beizubringen habt.
Ich liebe es, dass Gabrielle auch noch andere Aspekte beleuchtet. Es braucht einen männlichen Orgasmus für eine Schwangerschaft, definitiv keinen weiblichen (schade eigentlich, dann hätte sich das Problem von alleine gelöst). Dazu passt: Es ist bis heute so, dass für die meisten Menschen der heterosexuelle Sexualakt vorbei ist, wenn der Mann (in der Frau) gekommen ist. Alleine das ist schon echt ein Skandal, weil es geht halt auch auf so vielen anderen Wegen. Wenn sie dann ungewollt schwanger wird, ist sie gezwungen, eine Straftat zu begehen, er ist fein raus. Würden Männer schwanger werden, hätten wir ganz sicher eine andere Regel.
Dazu kommt, dass in diesem (und in fast allen Ländern) ja auch nicht viel dafür getan wird, es den Frauen einfacher zu machen, Kinder zu bekommen.
Das geht los damit, dass es zu wenig Kreißsäle gibt (und immer mehr geschlossen werden, weil wirtschaftlich nicht lohnenswert), geht weiter damit, dass es zu wenig Hebammen (weil unterbezahlt) und Erzieher*innen (weil unterbezahlt) und Betreuungsmöglichkeiten gibt. Dann ist es ja auch noch so, dass es für Frauen beruflich kein größeres Risiko gibt als schwanger zu werden (Check: für Männer gilt das Gegenteil, sie werden eher befördert, wenn sie Väter werden, auch wenn sie sich Check: immer noch wesentlich weniger um ihre Kinder kümmern). Die meisten Frauen erholen sich nie von dem Karriere-Knick, den sie durch die Baby-Auszeiten und Teilzeiten erlitten haben, das hat zur Folge, dass sie von ihren Männern finanziell abhängig sind, wenn sie denn einen haben, wenn nicht, dann landen sie statistisch höchstwahrscheinlich sowieso in der Armut. (Ich könnte ewig so weiter machen).
Ein Kind zu bekommen ist die größte Veränderung und Herausforderung, die man sich im Leben trauen kann. Sie ist aber für Frauen eben nochmal viel krasser, als für Männer. Sie tragen das Kind nicht nur aus und bringen es zur Welt, sie sind auch danach mehr in Charge, alleine schon, weil sie Milch produzieren, weil die Gesellschaft das so erwartet, weil sie das so vorgelebt bekommen haben. Wenn Väter gehen, sich nicht kümmern, Tag und Nacht arbeiten, die Familie vielleicht sogar verlassen, wird das stillschweigend hingenommen. (Es war ihm zu viel, er war überfordert, vielleicht hat sie ihm auch nicht genug gegeben? Vielleicht war sie zu unentspannt? —- Meist ist ja doch die Frau schuld, wenn einer geht, ne?). Wenn eine Frau ihre Kinder verlässt - Gott bewahre. Geächtet fürs Leben. (Buch-Tipp: Frau im Dunkeln, gibt es auch als Film von Maggie Gyllenhaal).
Frauen wird es also schwer gemacht, eine Schwangerschaft, die sie nicht wollen, zu beenden. Da wird dann erzählt, das ungeborene Leben, es sei ja so viel wert. Es wird ihnen aber ebenso schwer gemacht, ein Kind, für das sie sich an irgendeinem Punkt entschieden haben, groß zu ziehen. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass das alles Kalkül ist. Es gibt zu viele Menschen in diesem Land, die überhaupt nicht wollen, dass Frauen selbstbestimmt leben können. Die überhaupt nicht wollen, dass Frauen weniger abhängig und frei sind. Deshalb gibt es das Ehegattensplitting noch, deshalb ist alles, was mit Frauenrechten zu tun hat, so irre kompliziert umzusetzen. Oder gar SKANDALÖS!
Dass es auch anders geht, beweist zum Beispiel Island (Inspiration!). Starke Leistungen für Familien, keine Stigmatisierung von Alleinerziehenden, viele Frauen in Führungspositionen, hier wird Island als “feministisches Wunderland” bezeichnet, ich mag auch diesen Beitrag von Melodie Michelberger. Ach ja, Island hat natürlich auch eine der modernsten Abtreibungsregelung der westlichen Welt, muss ich nicht dazu sagen. Und legal sind Abbrüche dort schon seit 1935.
Insta-, Lese- und politische Tipps
Wenn ihr euch direkt für das neue Gesetz einsetzen wollt, hier könnt ihr den Bundestagsabgeordneten in eurer Nähe schreiben und sie bitten, für den Entwurf zu stimmen. Mehr Infos dazu gibt es bei Alexandra Zykunov auf Instagram.
Ich frage mich ja regelmäßig, wie die GenZ mit 40 aussehen wird. Was die alles für absurde Beauty-Rituale haben und alle spritzen schon mit 20 Botox! Werden die alle Babypopo-faltenfrei sein? Bin ich schon gespannt drauf. Für mich sind diese ganzen Trends dennoch nix, zu faul, zu kompliziert. Ich LIEBE außerdem diesen Gedanken und Artikel dazu: Is anyone having sex after their 12-step night time skincare routine?

Wie einige wissen, lebe ich mit dem Papa meiner Kids in friedlicher, freundschaftlicher Trennung. Wir sind für Viele ein Vorbild und finden das eigentlich schade. Ein schöner Artikel eines Paares, die das auch hinbekommen, habe ich im SZ Magazin gefunden. Mein liebstes Zitat? Kommt vom Vater und es geht um Paartherapie: “Natürlich kostet die Therapie viel Geld. Aber das ist ein wahnsinnig gutes Investment. Ich würde sogar sagen: Einen Kredit dafür aufzunehmen, zahlt sich aus. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir für diesen Fall einen gesellschaftlich geregelten Ablauf haben, wie für so viele andere Situationen, wo man zum Beispiel eine Notrufnummer wählt oder es verpflichtende Beratungen gibt. Bei Trennungen gibt es die nicht, noch gibt es keine Kultur dafür, nur einen riesigen Hochzeitsmarkt. Dabei wächst ungefähr die Hälfte aller Kinder mit getrennten Eltern auf.”
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