Himmerherrgott. Nach einer Urlaubspause kommt nun endlich Runde drei. Und ehrlich gesagt hat sie sich nicht nur wegen diverser Urlaube verspätet. Sondern auch, weil ich diesen Newsletter etwa 47 Mal umgeschrieben habe.
Denn wenn ich an “mittelalt” (also an alles, was nach 40 kommt, also an MEIN Alter) denke, dann denke ich - Asche über mein Haupt - zuallererst an Äußerlichkeiten. An Botox und Filler, an Krähenfüße und Nasolabialfalten. Ich denke an Bäuche, die speckig werden, an Pos, die hängen, an Geheimratsecken, Glatzen und graue Haare. Wie oberflächlich von mir! Dabei sehen alle um mich herum, die über 40 sind, ganz wunderbar aus. Interessant und ziemlich fresh, zufrieden. Warum auch nicht. 40 ist nicht alt. 45 ist nicht alt. Überhaupt. Was soll an “alt” oder “nicht mehr jung” falsch sein.
Diese Lebensphase ist so spannend. Sie ist viel mehr als das Optische. Wie low wäre es, hier über JLO und GP zu schreiben und wie jung sie aussehen und am Ende vielleicht sogar noch zu vermitteln, man müsse teures Geld für Treatments ausgeben, um die Zeit aufzuhalten. Das tun andere ja bereits zur Genüge. Dabei ist das Schöne an diesem Alter doch: Man muss irgendwann gar nichts mehr (guter Artikel dazu: “Über 40 muss sie nichts mehr müssen”). Diese Lebensphase kann ja eben gerade für Frauen eine kleine Befreiung zu sein. Schlussendlich habe ich also versucht, alles, was genau damit zu tun hat, zu streichen.
Dabei wäre es absolut gelogen, zu behaupten, dass es mir selbst gelingen würde, das mit den äußerlichen und körperlichen Veränderungen zu ignorieren. Wenn ich beim Yoga im herabschauenden Hund stehe, spüre ich, dass meine Wangen nach unten hängen. Wenn ich Bier trinke, sehe ich das am Tag danach an meinem Bauch. Und ich spüre es in meinem Kopf, viel mehr als früher. Überhaupt spüre ich meinen Körper mehr. Wenn ich drei Tage kein Yoga mache, schmerzt mein Rücken. Und dann dieser Hals. Wie viele in meinem Alter befasse ich mich regelmäßig mit Ernährungs-Hacks (Intervallfasten! Kein Weizen! Morgens Selleriesaft!) und versuche, so gesund wie möglich zu leben. Mein Geist fühlt sich so frisch! Mein Körper ist es trotz viel Sport nicht mehr, mein Gesicht auch nicht. Aber ich versuche ganz stark, diese Lebensphase als Befreiungsschlag zu sehen.
Welch Befreiung, endlich nicht mehr (nur) nach der Optik bewertet zu werden. Vielleicht geht es ab jetzt wirklich (mehr) um substantiellere Dinge?
Welch Befreiung, bei Modetrends zu sagen: das sah damals schon scheiße aus. Das mache ich kein zweites Mal mit.
Welch Befreiung, das Lebensmodell, das bisher gelebt wurde, zu hinterfragen - und vielleicht einfach zu ändern.
“Nobody is waiting for you to join TikTok, and it is a blessing".” (Wait, Who Did You Say Is Middle-Aged?)
Welch Befreiung, am Strand zu sagen: Ich bin über 40. So sieht mein Körper aus.
Welch Befreiung, endlich nicht mehr zu machen, was Männern oder irgendwelchen anderen Menschen gefallen könnte, sondern was man selbst will.
In der Literatur, in Filmen geht es gefühlt immer nur um Männer, die mit dem mittleren Alter hadern. Dabei ist das, was bei Frauen passiert, viel spannender. Genau um den 40. Geburtstag herum, oder ein paar Jahre danach, wird oft alles über Bord geworfen. Der Job gekündigt, der Mann verlassen. Wenn es Kinder gibt, sind diese vielleicht schon aus dem Gröbsten raus. Wenn es einen Kinderwunsch gab, wird er in diesen Jahren final an den Nagel gehängt. Wenn es keinen gab, fragt endlich keiner mehr danach. Angeblich müssen Frauen ja jung und fertil sein, um gesehen zu werden. Wofür sind sie sonst da? Wer sich ausschließlich darüber definiert hat, über das schön sein, das attraktiv und “fuckable” sein, darüber, wieviele Chancen man bei der Balz hat, der kann daran zerbrechen, nicht mehr in erster Linie als heiß, sexy und jung gesehen zu werden. Aber davon kann man sich lösen - und dann kann älter werden toll sein. Denn nicht mehr so viel gesehen werden, heißt auch, nicht mehr bewertet zu werden. Es heißt, dass man weitestgehend machen kann, was man will.
Schönheitsideale my ass
Schönheitsideale sind für uns alle keine gute Sache. Nicht mal für die, die ihnen entsprechen. Sibel Schick hat es erst vor kurzem sehr gut zusammengefasst. Sie vergiften uns, machen uns unglücklich, und sie lenken uns vom Wesentlichen im Alltag ab. Den letzten Punkt beobachte ich oft. Und obwohl sich alle meine Freundinnen über 40 über Botox, Retinol und Micro-Needling unterhalten, so widmen sich viele auch zunehmend wirklich wichtigen Dingen. Sie hinterfragen sich selbst, ihre Geschichte, ihr Umfeld. Single-Frauen arbeiten daran, dieses Lebensmodell zu zelebrieren und nicht mehr als “auf der Suche” zu gelten. Frauen in Beziehungen überprüfen diese, stellen sich neu auf. Viele machen Therapien, Yoga- und Breathworkshops, meditieren, manifestieren, versuchen, „zu sich“ und innere Ruhe zu finden, Traumata aufzuarbeiten, ungesunde Muster aufzubrechen. Das kann ein intensiver und anstrengender Prozess sein, oft ist es ein heilsamer. Es ist zudem ein „ongoing“ Ding - man ist nie fertig. Und die meisten werden in diesem Prozess stärker, selbstbewusster, ruhiger. Zwischendrin steht dann oft die Frage, ob es jetzt noch mal paarundvierzig Jahre genau so weitergehen soll. Wenn sie ihre (Ehe-) Männer damit konfrontieren, kommen diese manchmal nicht mit. Das hat dann meist Folgen. Aber einige steigen auch mit ein, das finde ich immer wundervoll.
Ein Minuspunkt, den ich bei alldem jedoch immer sehe: Gefühlt muss man ein gewisses Fundament haben, um sich diese Fragen überhaupt stellen zu können. Auszeiten und Retreats kosten Geld. Nicht wenige Frauen stellen gerade in dieser Lebensphase fest, dass sie sich nicht trennen können, oder nur mit finanziellen Einbußen. Dass sie vielleicht nie genug eigenes Geld verdienen werden. Sowieso stellen sich viele in unserer Generation die Frage: „Wer hat denn überhaupt das Geld (und die Zeit) für eine Midlife Crisis?“ In einem lesenswerten Diskurs in der NYT hieß es: “Many people said they felt they couldn’t be having a midlife crisis because there was no bourgeois numbness to rebel against.”
Vielleicht liegt es an meiner Bubble, in der es genug Wohlstand und bürgerliche, klassische Strukturen gibt, gegen die man rebellieren kann. In diesem Umfeld wird jedenfalls ziemlich viel auf die Probe gestellt rund um die 40. Und gerade Frauen gehen meist sehr vielschichtig, lösungsorientiert und reflektiert an die „Krise“ heran.
Im Guardian hat die Anthropologin Margaret Mead es so zusammenfasst: “Most middle-aged women experience a “postmenopausal zest” – a time when they could reappraise their lives and burst free from traditional gender roles.” Yay.
Und weil das alles total nerven kann, weil es das Patriarchat durcheinander bringt, wenn Frauen plötzlich alles hinterfragen, wenn sie sich nicht mehr nur über Typen und wie sie bei denen ankommen, Gedanken machen. Deshalb gelten Frauen ab einem gewissen Alter sehr oft als “total anstrengend”. Damit können wir aber gut leben, oder?
Ein großes Thema auch: Sex. Ja, echt! Für viele Frauen spielt das in dieser Phase des Lebens überhaupt erst wieder eine Rolle. Zumindest wenn die Anstrengungen weniger werden und wieder Raum dafür da ist. Dass man seinen Körper mehr spürt, das muss ja nicht nur mit unangenehmen Zippelchen zu tun haben. Zudem: es geht schamloser zu, Frauen hören endlich auf, sich für ihren Bauch, ihren Po, ihre Brüste zu schämen. Siehe oben. Bei vielen geht die Libido in den Jahren vor der Menopause noch mal ordentlich nach oben. Mir erzählen Freundinnen, dass sie Sex nun erst so richtig genießen. Mit sich selbst, mit dem Partner, mit einer Frau (viele entdecken diese Seite in dem Alter an sich), mit einem neuem (oft jüngeren) Partner. Für all das eignen sich wohl Apps sehr gut. Ich kenne nicht wenige, die das total zelebrieren. „An der Theke kann es sein, dass ich nicht mehr so gesehen werde“, sagte eine. „Aber in den Apps tummeln sich zig junger Typen, die genau auf Frauen in unserem Alter neugierig sind.“ Passenderweise ist “MILF” eine der am meisten gesuchten Kategorien auf Porno-Seiten. Eine meiner Freundinnen erzählte mir das letztens lachend und sagte: „Kein Wunder. Da geht’s noch mal richtig ab.“ Und einige stellen im Zuge dessen fest, dass sie so vieles in ihrem Leben nur für Männer gemacht haben. Auch im Bett. Eine Freundin hatte vor Kurzem eine Affäre mit einem 30-jährigen, der sie bevor es zur Sache ging, erstmal fragte: Was magst du denn so? (So machen das die jungen Leute. Insert Smiley. Consent.) Sie war perplex. Wollte antworten. Dachte nach. Was mochte SIE eigentlich wirklich gerne. Und was hatte sie all die Jahre vorher gemacht, weil sie wusste (oder dachte), dass Männer es gut finden? So kann Befreiung aussehen.
Für meine Freundin war das ein augenöffnender Moment. Bei anderen sind es andere Dinge als die Sexualität, die sie nachdenken lassen. Sie fragen sich: Wie sehr mag ich mein Leben? Will ich genau so noch weitere 40 oder 50 Jahre weiterleben? Für wen habe ich die letzten Jahre geschuftet? Ich habe noch 10 oder 20 gute Jahre, danach bin ich vielleicht nicht mehr so fit. Wie will ich die verbringen?
War’s das jetzt?
Jung sein wird völlig glorifiziert in unserer Gesellschaft. Fast alle Models sind immer noch jung, auf Plakaten, in Werbespots, auf Instagram, im Kino: die meisten Menschen sind blutjung. So vieles, was Spaß macht - machen junge Menschen. Bei älteren finden wir es peinlich, unpassend. Partys, Festivals, Konzerte, Sex, Rucksackreisen - seht ihr Menschen über 40, wenn ihr an diese Dinge denkt?
Letzte Woche habe ich mich mit einem alten Schulfreund getroffen, den ich seit über 25 Jahren kenne. Und wir haben festgestellt, dass das, was uns am meisten nervt am älter werden ist, dass unsere Seelen nicht mehr so leichtlebig sind. Dass wir eine gewisse Ernsthaftigkeit in unser Leben bekommen haben. Die ersten Eltern sind gestorben oder brauchen Unterstützung. Man wird mehr mit Krankheit und der Endlichkeit konfrontiert. Wer Kinder hat, hat viel Verantwortung und fühlt sich oft fremdbestimmt. Auf der anderen Seite sehe ich bei fast allen meinen Peers eine enorme Sehnsucht nach eben dieser Leichtigkeit. Nach Sorglosigkeit, es ist auch ein Hunger nach Lebendigkeit. Niemand hat sich “abgefunden” mit dem bequemen Leben, wenn es denn bequem ist. Alle wollen es immer noch spüren.
Also gehen wir schamlos auf Partys, reisen um die Welt, atmen uns in Ekstase, lassen es uns gut gehen, lachen und tanzen mit unseren Freunden, umarmen sie und die Welt. Weil das gut tut und nie aufhören soll. Dass das Klischee sagt, dass man dabei irgendwie mitleidig aussieht mit Mitte 40, dass man verzweifelt wirkt oder peinlich - geschenkt. Wer mit 60 noch wild tanzt, wird ja dann wieder cool gefunden und die Zeit dazwischen tanzen wir einfach durch, haben wir beschlossen.
Eine Frau rund um die 40 zu sein. Das kann befreiend sein - und hart. Für mich ist es beides. Aber wenn man ein bisschen die Perspektive wechselt, dann überwiegen die Vorteile. Ich genieße das Älterwerden. Ich bin eine von denen, die jetzt getrennt leben. Und wie aufregend das Leben noch mal sein kann, wie vielschichtig und mehrdimensional, das beglückt mich. Ich lebe viel bewusster. Mir ist eigentlich nichts mehr peinlich. Konventionen sind mir egal - und das ist ein gutes Gefühl.
Früher habe ich immer gedacht, man ist langweilig und festgefahren, wenn man über 40 ist. Vielleicht auch spaßbefreit und ein bisschen unglücklich. Das ist überhaupt nicht so. Was für eine schöne Erkenntnis. Und gestern habe ich mal wieder beschlossen, meine grauen Haare weitestgehend herauswachsen zu lassen. Eigentlich sind sie nämlich ziemlich schön.
Beauty
Ich werde immer wieder nach den Skincare-Produkten gefragt, die ich benutze. Ich muss alle enttäuschen, ich glaube eigentlich nicht, dass das alles viel bringt. Glücklich sein, Schlaf, Genetik, Wasser trinken, nicht Rauchen, sind bei mir glaube ich wesentlich wirksamer als Cremes. Aber ich kaufe natürlich trotzdem diese Hyaluron-Tuchmasken, Öle und Seren. Meine Haut ist eher trocken und sensibel, Hydration is key! Hier ein paar Produkte, die ich gerade regelmäßig verwende.
Instagram-Tipps
Einer meiner liebsten Accounts übers in Würde altern ist in.bloom. Immer wenn ich an Ende 40, 50 denke, denke ich: so eine Ausstrahlung wie Denise und die anderen Frauen, die sie zeigt, will ich haben.
Hoffentlich findet ihr das jetzt nicht zu pathetisch, aber die “40 Things I Wish I’d Known at 40” aus “The Everyday Hero Manifesto” von Robin Sharmahaben mich total abgeholt. Und es hat mich übermäßig gefreut, dass ich das meiste jetzt schon weiß, lebe und zelebriere. (Außer das mit dem Büchern. Ich lese zu gerne möglichst viele Bücher…)
Podcast-Tipp
Leider haben Katja Bigalke und Marietta Schwarz irgendwann nicht mehr weitermacht mit “Midlife”. Ich habe den Podcast so gerne gehört und er hat mich an ganz vielen Stellen total abgeholt. Es gibt auch ein Buch!
Wenn euch dieser Newsletter gefallen hat, dann….