Habt ihr One Day auf Netflix gesehen? Eine sehr solide RomCom Serie, angelehnt an den Bestseller von David Nicholls aus den Nullern (den ich nie gelesen habe) und den Film mit Anne Hathaway aus den Zehnern (den ich nie gesehen habe). Lässt sich gut wegbingen, wurde überall hochgelobt, mich hat sie bisschen wahnsinnig gemacht, auch wenn der Hauptdarsteller zum Dahinschmelzen süß ist.
Aber da geht es ja schon los.
Wieviel Klischee erträgt so eine Serie? Muss das echt sein, dass wir 2024 noch so etwas reproduzieren? Warum findet niemand außer mir es unerträglich?
Immerhin, die Hauptdarstellerin ist im Remake nicht weiß, das ist aber auch schon das Einzige, was fortschrittlich ist (und die kulturellen Unterschiede, die in den 80er Jahren ganz sicher ein Riesen Thema gewesen wären, werden auch schön ausgespart. Seine reiche, weiße Familie ist überpräsent, ihre nicht zu sehen).
Ansonsten geht der Plot so: Er gräbt sie an, sie kann es gar nicht fassen, weil er ist der Stecher der Uni. Sie gehen zusammen nach Hause. Natürlich haben sie keinen Sex. Weil sie will reden. Er ist dann auch weiterhin der wilde Typ, der alles bumst, was nicht bei Drei auf dem Baum ist, sie bleibt brav und intellektuell, ihr Liebesleben wird erst nach vielen Folgen (die beiden werden über Jahre begleitet) ein bisschen interessant. Er ruft sie an, um ihr sein Leid zu klagen, sie werden „Freunde“. Sie ist so offensichtlich vernarrt in ihn, dass es kracht.
Er ist der Bad Boy, sie ist das Good Girl. GÄHN!
Und man denkt: Natürlich bleibt er nur so lange dran, weil sie nicht mit ihm schläft. Denkt man einfach, weil hat man so verinnerlicht. Männer finden ja Frauen, die Lust auf Sex haben, schnell langweilig, wisst ihr. Die wollen lieber kleine brave Mäuschen, die sie erobern müssen.
Ich finde das so rückständig. Dachte die ganze Zeit: Mädel, jetzt vögel einfach mit ihm! Macht sie aber nicht. Sie traut sich nicht. Und sie will nicht eine von Vielen sein, sie will was Besonderes für ihn sein. Solche Filme sagen uns, dass man das nur sein kann, wenn man nicht miteinander ins Bett steigt. Wenn Frauen keinen Spaß haben. Wenn sie nur da sind und zuhören und gut sind und keusch und bisschen leiden. Und dass man auch nur geliebt wird, wenn man sich zurückhält. Dabei wäre der viel spannendere und auch realistischere Plot der, in dem die beiden Sex haben, er sie schlecht behandelt, sie sich zurückzieht - und dann einen guten Typen kennenlernt. So läuft das im echten Leben nämlich viel eher. Dass bad boys wie Dexter zu braven, treuen Kerlen werden - noch nie erlebt. Da kann man sich so lange aufsparen, wie man will.
Und überhaupt, dieses Männerbild! Dieses Frauenbild! Ich muss direkt an einen Gastbeitrag von A.L. Kennedy in der Süddeutschen denken, in dem es eigentlich um die Windsors geht und um englische Internate. Aber, oh boy, leider ist das doch überall so: „Während Jungen zum Herrschen erzogen werden, sollen Mädchen fügsam sein, makellos gepflegt, nicht zu offensichtlich klug, fruchtbar, immer fröhlich angesichts untreuer oder übergriffiger Männer - und vor allem dünn, dünn, dünn.“
Und eben bloß nicht zu sexuell. Mädchen wird schon früh beigebracht, sich „da unten“ nicht anzufassen, ihr Geschlecht wird nicht benannt, ihre Sexualität negiert. Selbst im Aufklärungsunterricht ist die Lust des Mannes durchaus Teil des Ganzen, die der Frauen - nicht existent. Die ganze Pubertät über bekommen Mädchen zu hören, sie sollen nicht zu experimentierfreudig sein, darauf achten, nicht schwanger zu werden und sich keine Geschlechtskrankheiten zu holen. Außerdem natürlich auch „keine Schlampe“ sein. Also schon irgendwie hot und auch nicht prüde, aber halt nicht zu viele Typen und nicht zu crazy. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob die heutigen Teenager, die ja mit viel mehr Porno groß werden, als meine Generation, das überhaupt noch unterschreibt. Aber besser macht es die ganze Sache sicher nicht, schließlich geht es in sehr wenigen Pornos darum, was Frauen eigentlich Spaß macht.
Und hier kommt auch schon die erste Zwickmühle, denn schwanger werden und Geschlechtskrankheiten sind reale Risiken, die Sexualität mit sich bringt, aber das gilt doch für beide Geschlechter! Buchtipp für alle, aber besonders für Eltern von Jungs und alle Männer: Verantwortungsvoll ejakulieren.

Die zweite Zwickmühle ist dann, dass von erwachsenen Frauen später schon erwartet wird, dass sie im Bett wissen, was sie wollen, dass sie sich locker bewegen und Freude an der Sache haben. Das passt nicht so ganz zusammen und ich denke, es ist kein Zufall, dass mir die meisten Frauen in meinem Umfeld erzählen, dass es so richtig gut erst viel später wurde, als sie sich endlich von Labels wie „prüde“, „Schlampe“, „Blümchen-Sex“ „Body Count“ verabschieden konnten und wirklich überlegt haben, was sie mögen. Die Sexualtherapeutin Angelika Eck fasst es gut zusammen: „Nach wie vor können Frauen sich nicht einfach überlegen, eine befreite Sexualität leben zu wollen aus Angst vor sexualisierter Gewalt, Scham, gesellschaftlicher Abwertung."
Wer denkt, dass das heute nicht mehr so sei, dass eine Frau, die viel Sex hat, am Ende noch mit wechselnden Partnern, abgewertet wird, der irrt. Die sozialen Medien tun ihr Übriges. Auf TikTok gab es einen Body-Count-Trend und immer wieder liest man, dass das tatsächlich sogar beim Daten ein Thema sei. Zwei empfehlenswerte Artikel dazu: In der Annabelle und in der GQ. Die Autorin der GQ argumentiert zurecht, dass es dabei doch eher um die Angst der Männer ginge, verglichen zu werden. Das unterschreibe ich zu 100 Prozent.
In der Annabelle heißt es zum Thema Body Count: „Der Trend verbreitet ein sehr traditionelles Geschlechterbild. Hier ist der Mann der dominante, aktive Part und die Frau der passive, unterwürfige. Dass Frauen eher für einen hohen Body Count geshamed und Männer dafür gefeiert werden, ist auf die Geschlechterstereotype zurückzuführen, die einfach immer noch so stark in uns verankert sind. Laut diesen Stereotypen dürfen Männer ihre Lust leben, während die Lust der Frauen eher mit Scham assoziiert wird.“ Und diese gottverdammte Serie tut eben genau das auch.
Zum Sex-Gap in “One Day” kommt noch ein weiterer Punkt, der mich extrem gestört hat. Emma kümmert sich gefühlt die ganze Zeit um Dexter. Sie hört ihm zu, schreibt ihm, sie macht sich Gedanken um seine Probleme, viel mehr, als er sich um seine. Sie verzeiht ihm buchstäblich ALLES, selbst als er sich völlig daneben benimmt und sie sich kurzzeitig von ihm abwendet, sagt sie noch: “Ich hätte verständnisvoller sein sollen.” Auch das ist Teil der „Good Girl Falle“.
Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin?
Blödsinn. Leider. Immer noch soll man als Frau „mitfühlend” sein, „likeable“ und eben auch mütterlich. Selbst Politikerinnen, sehr erfolgreiche Frauen geben sich oft normative Label wie "Mom, Wife, Grandma" (So zum Beispiel Hilary Clinton). In einem Artikel über die Good Girl Falle und wie sie Beziehungen ruinieren kann habe ich gelesen: “Examples like this expose the way that female worth and likability is defined by who we can be to others. Men are not questioned as much when they take decisions for themselves. But female ‘selfishness’ can be a social death sentence.”
Und genau das unterstreicht die Serie ebenfalls.
Also, lange Rede kurzer Sinn: “The story is about a rude, selfish, privileged man who spends many years exploiting the friendship and care of a woman who is not-so-secretly infatuated with him.” Keine großartige Love Story, wenn ihr mich fragt.
Es gäbe so viele modernere und bessere Liebesgeschichten, die es echt verdient hätten, mal erzählt zu werden. Geschichten, die Frauen ein paar mehr Möglichkeiten lassen, als das Good Girl zu sein. Und Geschichten, die auch Männern mehr Möglichkeiten geben, als der unnahbare Fucker, der eigentlich ein weiches Herz hat, zu sein.
Was bleibt? Dass ich hoffe, dass meine Kinder weniger stereotype Ideen und gesellschaftliche Normen in ihre Köpfe bekommen.
Meinem Sohn will ich beibringen, dass Verhütung und Respekt wichtig sind. Und dass das Ganze auch Männern mehr Freude macht, wenn alle daran Spaß haben. Und für meine Tochter? Für die habe ich eine ganze Liste an Weisheiten. Da steht unter anderem drauf:
Man muss nicht vertrauen, um Sex zu haben. Aber wenn man es tut, macht es mehr Spaß.
Lust haben ist schön - lebe sie aus.
Man kann lernen, Sex oder den Zauber eines Moments nicht mit Liebe zu verwechseln.
Man macht sich verletzlich, wenn man sich auf Leidenschaft einlässt. Aber das ist nur mit den falschen Menschen etwas Gefährliches. Und die waren es dann eh nicht wert.
Tue im Bett nie etwas, um zu gefallen.
Je attraktiver dein Gegenüber, umso wichtiger ist das Kondom.
(Den letzten Satz habe ich zugegebenermaßen aus „Der Kaninchenstall“ gestohlen - er ist aber auch zu gut, oder?)
Vielleicht wird sie eh lesbisch. Dann wird alles einfacher. Würde ich mir fast für sie wünschen!
Insta-Tipps
Zwei Salate, die hier hoch und runter gegessen werden: 1. Jeder, der chinesische Küche liebt (wie ich), kennt diesen unfassbar guten Gurkensalat und das Insta-Rezept kommt echt ran. 2. Auch der Glasnudelsalat ist ein Hit - und (wie immer bei mir) beide sind super schnell gemacht.
Kinder(Hör)buch-Tipp
Auch auf die Gefahr hin, dass ihr das ALLE schon kennt. Wir waren gerade (als getrenntes Elternpaar, ja, das geht und nein, wir sind nicht wieder zusammen und ja, wir verstehen uns wirklich gut und nein, es gibt kein Geheimrezept und leider möchte ich darüber nicht schreiben, weil zu privat :))) mit den Kindern unterwegs und haben auf der Rückreise zum 12. Mal (mindestens) Rico, Oskar und die Tieferschatten gehört. Es ist einfach, finde ich, das BESTE Kinderbuch aller Zeiten! Auch die Folge-Bände sind gut (es gibt 5) aber der erste ist (natürlich) der Beste. Die Filme sind auch alle toll (gibt es bei Disney Plus). Und Andreas Steinhöfel! Ich hab ihn so gerne, als wäre er mein Onkel oder so. Ach, was noch viel lieber als jeden Onkel hab ich den! Wusstet ihr, dass die Figur des Rico auf seinem ehemaligen Lebenspartner basiert? Steinhöfel war viele Jahre mit dem DJ Gianni Vitiello liiert, der irgendwann bei einer Party (vermutlich im Drogenrausch) kollabierte und starb. Hier gibt es einen rührenden Beitrag dazu. So ein Typ wie Gianni, der ADHS hat, die Musik liebt, das Leben nur mit Drogen aushält - sowas gibt es fast nur in Berlin. Das tragische Ende ist vorprogrammiert. Und diese beiden ungleichen Typen, dass die ein Paar waren... Es gibt auch noch viele andere Interviews mit Andreas Steinhöfel online (zum Beispiel dieses von der tollen Mareike Nieberding), ich wette, ihr mögt ihn bald so sehr wie ich. Und wer Rico Oskar schon kennt - bestimmt die meisten - wir sind auch alle vernarrt in Dirk und ich. Lustigstes Kinderbuch aller Zeiten.
Awaxenen Hörbuchtipps
(Quiz: an welchen weiteren Kinderbuch-Hit ist dieses Wort angelehnt? Einsendungen per Mail!)
Ich bin, seitdem ich die letzten Wochen krank war, wieder voll im Hörbuch-Game. Nicht nur für Kinder ist das einfach eine tolle Option. Sondern auch, wenn Lesen zu anstrengend ist, oder man nebenbei Haushalt machen möchte, oder so. Plus, nicht alle tun sich ja mit dem Lesen so leicht, Hörbücher sind für solche Menschen eine gute Option. Auf meiner Hörbuch-Liste (nur durch sie rechtfertige ich das unfassbar teure Spotify-Familienabo!) stehen ganz oben:
Paradise Garden von Elena Fischer
Kleine Probleme von Nele Pollatschek. (Das hab ich schon durch. Eine Empfehlung! Sind wir nicht alle ein bisschen Lars?)
Thanks for Reading!
Wenn dir dieser Newsletter gefallen hat…
Von Zippel ist das doch :) Awachsana!
Toller Artikel - habe es gar nicht so gesehen und einfach nur unter romance verbucht. Ich mochte vor allem die Schauspielerin und fand ihre Rolle als sehr lustig und smart dargestellt.
Aber ich gebe dir Recht, insgesamt war es sehr stereotyp und bei einer Serie, die heute spielen würde (also moderner ist), würde ich auch etwas anderes erwarten, z.B. dass ein Mädchen sich nimmt worauf sie gerade Lust hat.
Danke, fürs Erinnern an das Buch von G. Blair. Das will ich unbedingt lesen und meinem Sohn näher bringen.